Seit Anbeginn der Europäischen Union entfaltet sich die Idee einer Europäischen Einheit fortlaufend. Mittlerweile sind 27 Staaten Mitglied in der EU – Tendenz steigend. Bereits 1958 wurde in einer Verordnung des Europäischen Rates festgelegt, dass die Amtssprachen aller Mitgliedstaaten gleichberechtigt sind. Dadurch hat sich die Anzahl der Amtssprachen seit 1957 von ursprünglich vier auf 23 Sprachen erhöht.
2013 wird mit Kroatisch die 24. Amtssprache hinzukommen. Jeder EU-Bürger dieser Mitgliedsstaaten hat ein Recht darauf, sich in einer dieser offiziellen Amtssprachen an die Institutionen der EU zu wenden. Damit die Antwort in der entsprechenden Sprache erfolgen kann, wurde 2007 das Amt des Kommissars für Mehrsprachigkeit eingeführt. So hat die EU unlängst die Herausforderung der Mehrsprachigkeit erkannt. Sprachpolitik ist heutzutage eine Notwendigkeit und ähnelt in ihrer Vielfältigkeit der europäischen Idee; durch ihre integrative Funktion wird Konflikten vorgebeugt. In einer global agierenden Welt kann man sich Verständigungsprobleme nicht leisten. Ein in diesem Zusammenhang häufig genannter Kritikpunkt, ist der einer fehlenden europäischen Identität. Denn ohne Identität kann der Wirtschaftsfluss nicht ungehindert stattfinden.
Geradezu utopisch wirkt in diesem Zusammenhang das Aufbegehren einer Einheitssprache, die alle Länder untereinander vereinen sollte. Die Lösung in Form einer internationalen Plansprache wie Esperanto ist wohl die einzige neutrale Sprachart, die sich in ihrer Existenz behauptet hat – in diesem Zusammenhang spricht man auch von einer Welthilfssprache. Dabei wird allerdings vergessen, dass sich in der Sprache eines jeden Landes die Kultur offenbart. Sehr wahrscheinlich ist das der Grund dafür, dass sich Esperanto in der EU nicht durchsetzen konnte und nicht durchsetzen wird. Diese Barriere lässt sich nicht einfach durch einheitliche Sprachregulationen überwinden.
Das Dilemma spiegelt sich schließlich in der Mentalität der EU-Bürger wieder, die genau so wenig auf die eigene Sprache, als auch auf den kulturellen Hintergrund verzichten möchten; denn dadurch wird das Erlernen einer Sprache erst greifbar und erlebbar gemacht. Wer das nicht akzeptieren möchte, versteht nicht, dass die EU mit ihrer institutionalisierten Sprachenvielfalt das kulturelle Erbe der Länder, seiner Bürger und deren Identitäten antritt. Ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen und gleichzeitig unterschiedliche Amtssprachen beizubehalten ist eben einer der Kernpunkte mit dem sich Europa auseinandersetzen muss.
Schließlich funktioniert Integration nach einem ähnlichen Prinzip; nur jene Bürger die bereit sind die Sprache als Schlüssel zu begreifen und die Sprache ihres Nachbarn zu lernen, zeugen von einer gelungenen Integration.
Europa ist vielsprachig!
Mittlerweile besitzt die EU den größten Anteil an Dolmetschern und Übersetzern weltweit. Rund 3.400 Beschäftigte ca. 15 Prozent des gesamten Personals, widmen sich einzig und allein der Sprachenvielfalt; allein 1 Prozent des EU-Haushaltes fließt dort Jahr für Jahr ein.
Viele Dolmetscher haben für gewöhnlich keine Festanstellung, sondern sind meist selbständig tätig. Für diese freien Mitarbeiter gibt es einige Vorteile. Flexibilität bezüglich des Ortes von dem aus gearbeitet wird und die freie Zeiteinteilung sind wohl die wesentlichen Stärken eines individuell gestaltbaren Arbeitsplatzes, der ein ungezwungenes Dasein als eigener Chef ermöglicht.
Die kommenden Generationen werden zeigen, ob die EU den richtigen Kurs eingeschlagen hat. Sofern die Bürger dazu bereit sind, sich mehrere Sprachen anzueignen, um im Ausland Fuß zu fassen, steht einer europäischen Identität, samt EU-Bürgern, die sich auch als solche begreifen, kaum etwas im Weg.
Zur Frage des Esperanto als möglicher gemeinsamer Sprache der EU
Natürlich ist richtig, dass „sich in der Sprache eines jeden Landes die Kultur offenbart“. Wenn sich aber ein Däne und eine Italienerin unterhalten möchten, dann werden sie voraussichtlich eine gemeinsame Sprache sprechen. Ob das jetzt Dänisch oder Italienisch oder Englisch oder Französisch oder Esperanto ist – in praktisch jedem Fall wird eine der Landes-Kulturen der beiden Sprecher, oft auch beide, in dieser Unterhaltung nicht in der ursprünglichen Sprache präsent sein. Das ist eine Grundtatsache der internationalen Kommunikation und hat nichts damit zu tun, welche dritte Sprache man nun z. B. wählt – Englisch oder Französisch oder Esperanto…
In der Aussage des Artikels klingt vermutlich allerdings eher die Vermutung an, Esperanto verfüge nicht über eine eigene Kultur. Dies ist unzutreffend. Schon im allerersten Esperanto-Lehrbuch 1887 finden sich drei Gedichte – Ludwig Zamenhof war sehr wichtig, in seiner neuen Sprache von Anfang an eine Kultur aufzubauen. Das ist uns Esperanto-Sprechern auch weiterhin wichtig – jährlich erscheinen etwa 120 Esperanto-Bücher, man kann heute auf insgesamt etwa zehntausend Esperanto-Bücher zugreifen. Das sind Werke original in Esperanto und viele Übersetzungen aus allen möglichen Sprachen der Welt. Natürlich gibt es auch Theaterstücke und Lieder in Esperanto und zunehmend auch Videos.
Die Spekulation über die Frage, warum „sich Esperanto in der EU nicht durchsetzen konnte“, erscheint daher unzutreffend. Ich sehe eher einen anderen Grund: Ich habe bei der Sprachenmesse Expolingua mal eine leitende EU-Dolmetscherin aus Straßburg gefragt, ob dort Esperanto eine Rolle spiele. Nein, hat sie mir geantwortet, und das sei auch gut so, denn sonst würden sie und ihre Kollegen ja ihren Job verlieren…
Diese Argumentation ist nachvollziehbar – Esperanto würde ja die europäische Kommunikation wesentlich vereinfachen, man brauchte weniger Sprachlehrer, weit weniger Dolmetscher und Übersetzer, weniger mehrsprachiges Personal. Da ist es klar, dass die Angehörigen all dieser Berufe sich mit Händen und Füßen gegen Esperanto sträuben und manchmal auch noch Geschichten über Esperanto erfinden. So hat die EU-Kommission z.B. in der „Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit“ 2005 erklärt: „Das Verstehen anderer Kulturen wurzelt im Erlernen der entsprechenden Sprachen, die Ausdruck dieser Kulturen sind. Daher fördert die Kommission die Verwendung künstlicher Sprachen nicht, die per definitionem keine kulturellen Bezüge haben.“ Sehr wohl hat Esperanto kulturelle Bezüge, eine anderslautende Definition gibt es nicht. Man muss sich nur mit der Esperanto-Literatur und -Kultur insgesamt vertraut machen, dann sieht man das sofort. Im übrigen könnte die EU-Kommission auf mehrere Dutzend Dolmetscher, Übersetzer und anderes Personal zurückgreifen, die allesamt seit vielen Jahren fließend Esperanto sprechen und fachlichen Rat für die Erstellung solcher Texte geben könnten; der EU-Dolmetscher Jorge Camacho und der EU-Übersetzer István Ertl schreiben auch Bücher in Esperanto…
2013 hat die Kommission dann in einer Pressemitteilung zu Esperanto (und Latein) als möglichen EU-Sprachen erklärt: „Die Lehrerausbildung und der Sprachunterricht für fast 500 Millionen Europäerinnen und Europäer würden außerdem sehr viel Zeit und Geld kosten.“ Noch viel mehr Zeit und Geld kostet allerdings der aktuelle Sprachunterricht in Englisch und anderen Sprachen – einfach deshalb, weil man für diese Sprachen etwa dreimal soviel Unterrichts- und Lernzeit braucht! Im übrigen sollte ein solcher Übergang natürlich nicht zu rasch erfolgen – es würde schon ausreichen, einfach objektiv und wahrheitsgemäß über Esperanto zu informieren, dann würden noch deutlich mehr Leute von sich aus Esperanto lernen. Ich selbst halte derzeit von der Idee, Esperanto als EU-Sprache vorzuschlagen, eher wenig – Anerkennung der Sprache, Dokumentation und Förderung sind jetzt die geeigneten Mittel, um Esperanto weiter auf den Weg zu bringen.